Donnerstag, 11. Jänner 2024

Walserherbst 2023: Rückblick auf die Jubiläumsausgabe


Walserherbst 2023 (c) Dietmar Nigsch
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Mit "Pippi Langstrumpf" in den Workshoptag bei der 5. Radix Musikwerkstatt in der Propstei St. Gerold.

Mit einer fulminaten Feier im Gasthof Sonne in Thüringerberg eröffneten die Kuratoren Dietmar Nigsch und Eugen Fulterer die Jubiläumsausgabe des Walserherbst. Festreden, Hornbläser und eine Performance mit unzähligen Kuhglocken läuteten die zehnte Ausgabe des Festivals ein.

Seit seiner Gründung im Jahr 2004 bringt der Walserherbst Künstler*innen, Einheimische und Gäste aus Nah und Fern zusammen. Kunst und Kultur erfüllen während der dreiwöchigen Festivalzeit das gesamte Große Walsertal. Das breitgefächerte Programm besteht aus Konzerten in „Klingenden Kirchen“, der Radix-Musikwerkstatt, Ausstellungen in leerstehenden Räumen, Musik in Gasthäusern und auf Alpen, Theater, Kino, Kulinarik sowie Land Art an erstaunlichen Orten.


Sakralbauten als Konzerträume

Die zehnte Ausgabe des Walserherbst fand von 17. August bis 10. September 2023 statt. Die Festivalatmosphäre machte sich im ganzen Tal bemerkbar. Drei „Klingende Kirchen“ ertönten: ein „Soundritual“ mit Ausnahmegitarrist Karl Ritter in der Propsteikirche St. Gerold, das musikalisch-literarischer Konzert „Dantes Göttliche Komödie“ mit Helga Pedross und Heidelinde Gratzl in der Bergkirche Marul und das Konzert der sardischen Hirten „Tenores di Thiesi“ und „Tre Pastori Sardi“ in der Bergkirche Damüls. Die Hirten erfreuten das Tal nicht nur mit ihrer traditionellen Gesangskunst „Canto a Tenore“ – seit 2018 „Immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ –, sondern auch mit traditionellen Gerichten ihrer Heimat im Rahmen eines „Sardischen Festes“ am Seewaldsee.


Musik soweit das Ohr reicht

Die Radix Musikwerkstatt führte zum siebten Mal unter der Leitung von Evelyn Fink-Mennel mit Kursen oder Sessions hinein in den Kosmos des (volks-)musikalischen Spiels. Unter den Workshop-Leiter*innen: die renommierte Steirische Harmonika-Spielerin Katharina Baschinger, die mit ihrem Trio auch ein Konzert gab. Tobias Ennemoser war mit seinem Programm TubAffinity zu erleben, einem gelungenen Mix aus Musik & Kabarett, und die Graubündnerin Astrid Alexandre mit einem akustischen Sammelsurium aus Chansons, rätoromanischen Volksliedern und klassischer Musik. Beim Event „Mit-Tanzen on Tour“ durfte jeder der Lust hatte, sein Instrument mitbringen und das Tanzbein schwingen – ähnlich beim Musikant*innen-Dorf Fontanella, einem Hörfenster in die musikalische Dorfkultur. 


Fotografien und Installationen

Fünf Ausstellungen wurden im Rahmen einer gemeinsamen Vernissagen-Busfahrt in drei Orten eröffnet: die Fotoausstellung „Mensch und Motiv“ von Nikolaus Walter, Dialekt-Fotomontagen von Heidi Comploj, die Rauminstallation „bettfederleicht tief unten im Schnee“ über das Lawinenunglück von Blons, eine Gruppenausstellung in der Scheune Lehen und die Ausstellung von Daniel Spoerri, dem ein Festivalschwerpunkt gewidmet wurde. Der heute in Wien lebende Schweizer gilt neben Yves Klein als Mitbegründer des Nouveau Réalisme und als Erfinder der Eat-Art. Der Walserherbst zeigte eine Ausstellung mit dem Titel „Bild zum Sonntag“, die in Zusammenarbeit von Spoerri und Silke Eggl auf Basis einer von Spaß geprägter Fotoreihe für Instagram entstand. Zusätzlich konnten Besucher*innen im Rahmen der Filmtage in der Dokumentation „Dieser Film ist ein Geschenk“ mehr über Spoerris Kunst und Leben erfahren

Land Art-Künstler Matthias Würfel baute am Bergkamm über Blons, zwischen Serajöchle und Pfrondhorn, die erhabene Installation „Metamorphose Walserkamm“, dessen Vergänglichkeit noch lange Zeit bewundert werden kann.


Literatur und eine neue Wirtshauskultur

Gerne – und zum Glück auch regelmäßig – gesehene Künstlerinnen des Walserherbst sind Maria Hofstätter und Martina Spitzer. Bei der zehnten Walserherbst-Ausgabe lasen sie Bertolt Brechts „Flüchtlingsgespräche“ und wurden dabei von Groschenrock musikalisch begleitet. Auch die Theaterstücke „Donna Quichotte“ mit Verena Vondrak über die (Un-)Planbarkeit des Lebens und „Odysseus am Sand“ mit Reinhold G. Moritz begeisterten das Publikum.


Das geschichtsträchtige Jenny Haus wurde bis unters Dach bespielt: literarische und musikalische Kurzdarbietungen, die Lawinenunglück-Ausstellung von Sarah Schneider und das Hörspiel „Wurlitzergassen 22, Zwozl Zwozl“ brachten Leben in den Leerstand.

Rege diskutiert wurde im Rahmen des neuen Walserherbst-Formates „Wirtshausgespräche“, die in Raggal und Blons stattfanden. Es ging um Politik, Engagement und Care-Arbeit, gesprochen wurde über Lebensräume und Grundbedürfnisse, politische Prozesse sollten als Gemeingut verstanden werden.


Kunstresidenz, Filmtage und ungewöhnliche Begegnungen

Das internationale Kunstkollektiv Sympoietic Society öffnete im Zuge des Walserherbst Festivals von 5. – 10. September im Kulturraum Ruine Blumenegg die alpine Kunstresidenz „I.C.E. * In Case of Emergency“, die in einer Gletscherzeremonie auf der Roten Wand gipfelte.


Die Walserherbst Filmtage sind stets dem zeitgenössischen europäischen Autoren- und Dokumentarfilm verpflichtet. Neben Spiel- und Animationsfilmen wie „Märzengrund“ oder „Loriots große Trickfilmrevue“, waren auch die Dokus „Alpenland“, „Matter Out of Place“ und „Dieser Film ist ein Geschenk“ zu sehen.

Auch Volker Gerling bereicherte mit seinem Daumenkino die Filmtage. Zudem war er mit seinem Bauchladen über mehrere Tage im Großen Walsertal unterwegs und tauchte – so wie Clownfrau Martha Laschkolnig – immer wieder überraschend auf. Martha veranstaltete nicht nur eine Quellenwanderung für Groß und Klein, mit drei stationierten Postkästen und einer Postkraxn am Rücken sammelte sie auch Erinnerungen an vergangene Walserherbst-Ausgaben und fügte diese sorgsam zu einer öffentlich zugänglichen Schau zusammen.


Und noch viel mehr: Die Eisen-Schmiede-Werkstatt von Christa Keller bot die Möglichkeit, selbst Hand anzulegen, Dr. Guntram Plangg präsentierte sein Buch über rätoromanische Flurnamen des Großen Walsertals und der Flohmarktladen im Gämsle, liebevoll „Brocki fürs Walsertal“ genannt, wurde vom Walserherbst um Musik & Speis erweitert. Auch bei den „Langen Tafeln“ in Blons und Raggal nahmen Besucher*innen gemeinsam Platz, um das kulinarische sowie musikalische Angebot zu genießen.


Mit 45 Veranstaltungen im Tal und regem Publikumszuspruch konnte das Festival einmal mehr ein unterhaltsamer, nachhaltiger Impulsgeber für die Region sein und drängende Zukunftsfragen mit vielen Fenstern in die Welt besprechen.


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Mit "Pippi Langstrumpf" in den Workshoptag bei der 5. Radix Musikwerkstatt in der Propstei St. Gerold.