Zwischenzeit

Eine Pause von der Pause mit dem Mut zur Lücke, dem Hang zur Unbequemlichkeit, der Freude am Austausch sowie der Wirkung über den Moment hinaus.

Walserherbst, DKRB Ruine Blumenegg, Foto: Hanno Mackowitz, MaMa

Vom 29. August bis 1. September 2019 wurde der Kulturraum Ruine Blumenegg zum Schau- und Hörplatz großer Literaturschaffender sowie zum Treffpunkt all jener, denen die Wartezeit bis zum nächsten Festival zu lange erscheint. Über vier Tage hinweg lud die erste Walserherbst Zwischenzeit zu einem abwechslungsreichen Programm aus Lesungen, Gesprächen und Musik, abgerundet durch entspannte regionale Gastlichkeit und Kulinarik.



Kulturraum Ruine Blumenegg

Der Walserherbst versteht sich auch als Impulsgeber für wegweisende Projekte in der Region. Gemeinsam mit dem Verein der Burgfreunde Blumenegg konnten wir die Restaurierung der Burgruine Blumenegg vorantreiben.

Im Rahmen des Walserherbst Festivals 2018 wurde der Pavillon feierlich eröffnet und das Areal erhielt damit ein neues Zentrum, das als Kultur- und Veranstaltungsort die Regionen Walgau und Großes Walsertal verbindet und belebt.

© Hanno Mackowitz

Veranstaltungsort

Kulturraum Ruine Blumenegg

Faschinastrasse 97, 6721 Thüringerberg

Rückblick auf das Programm der ersten Walserherbst Zwischenzeit 2019

Walserherbst Zwischenzeit, Philipp Weiss, Foto: Helmut Lackinger

© Helmut Lackinger

Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen

Autorenlesung mit Philipp Weiss

Do. 29. August 2019 | 17 Uhr

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„Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“, das sind tausend Seiten, fünf Bände – ein Roman. Philipp Weiss entwirft ein Panoptikum unserer fliehenden Wirklichkeit und erzählt von der Verwandlung der Welt in welcher der Mensch zur zentralen gestaltenden Kraft geworden ist. In Form von Enzyklopädie, Erzählung, Notizheft, Audiotranskription und Comic entsteht ein vielschichtiger, weitverzweigter Roman, ein literarisches Juwel von ungeheurer denkerischer, poetischer und formaler Kraft. Philipp Weiss glückt der kühne Versuch, die Komplexität der Welt, in der wir leben, erzählbar zu machen und schafft damit eine beeindruckende Großerzählung über Fortschritt und die drohende Selbstzerstörung der Menschheit.

„Als wäre ich nirgendwo zu Hause. Als stünde ich immerzu auf der Schwelle, zwischen den Dingen, den Räumen, den Menschen. Die Glücklichen, die niemals über einen Weltenrand gestürzt sind…“

Philipp Weiss (*1982) studierte Germanistik und Philosophie und wurde für seine Prosa sowie Theaterstücke bereits mehrfach ausgezeichnet. 2013 wurde der Autor vom Projekttheater Vorarlberg mit der Erarbeitung des Stückes „Ein schöner Hase ist meistens der Einzellne“ betraut und war im Jahr darauf als Hausautor am Schauspielhaus Wien beschäftigt. Im März 2019 wurde „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet.

© Leonhard Pill

Die guten Tage

Autorenlesung mit Marko Dinić

Do. 29. August 2019 | 18.30 Uhr

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In einem Bus, dem täglich zwischen Wien und Belgrad verkehrenden „Gastarbeiter-Express“, rollt der Erzähler durch die ungarische Einöde. Jener Stadt entgegen, in der er aufgewachsen ist. Die Bomben, der Krieg, Miloševic, den er zuerst lieben, dann hassen gelernt hat, und der Vater, für dessen Ideologie und Opportunismus er nur noch Verachtung empfindet, hatten ihn ins Exil getrieben. Entkommen ist er dem Balkan auch dort nicht.


In beeindruckenden Bildern erzählt Marko Dinić von einer traumatisierten Generation, die sich weder zu Hause noch in der Fremde verstanden fühlt, die versucht die eigene Vergangenheit zu begreifen und um eine Zukunft ringt. Dinić hat das Temperament des Balkans sprachmächtig in Worte gekleidet und liefert ein vielschichtiges Romandebüt sowie ein wichtiges Buch über Europa und Nationalismus.


„Ein Teil von mir versuchte krampfhaft, mein bisheriges Leben in Serbien zu vergessen, während ein anderer Teil ununterbrochen daran erinnert wurde, wie sehr Wörter wie Sehnsucht oder Heimat zur Falle werden können.“


Marko Dinić wurde 1988 in Wien geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Belgrad. Er studierte in Salzburg Germanistik und Jüdische Kulturgeschichte. „Die guten Tage“ ist sein erster Roman.

© Haymon Verlag

Heimat - Ein Vorschlag zur Güte

Autorenlesung und Gespräch mit Elsbeth Wallnöfer

Do. 29. August 2019 | 20 Uhr

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Ob rechts oder links, ob bürgerlich, liberal oder öko: Seit Neuestem verwenden alle wieder das „H-Wort“. Ist Heimat ein gefährlicher Begriff, der in den Giftschrank politischer Tabuwörter gehört? Oder kann er heute tatsächlich eine konstruktive Rolle in unserer Gesellschaft spielen? Elsbeth Wallnöfer gibt eine klare Antwort: Wir müssen Heimat endlich von der deutsch-nationalen Vereinnahmung befreien und pluralistisch verstehen. Wallnöfer zeigt uns, wie die Medizin das Heimweh als Symptom entdeckte, wie die Romantik Volk und Heimat lieben lernte und wie es den deutschen Nationalbewegungen gelang, aus einem individuellen Gefühl ein politisches Konzept zu machen, das bis heute der Ausgrenzung anderer dient. Angesichts der aktuellen Debatten um kollektive Identität und Leitkultur, um Geflüchtete, Migration und Asyl ist es hoch an der Zeit, dieses Konzept zu hinterfragen und Heimat anders zu denken.


Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem und demaskiert dabei regelmäßig die Heimattümelei.

© Erika Prader

Norbert C. Kaser (1947 - 1978)

Literaturpersonale

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Der Südtiroler Dichter Norbert C. Kaser war nicht nur als Mensch, sondern auch in seinem Schaffen außergewöhnlich, radikal und provokant; ein Enfant terrible, nicht nur literarisch. Er schrieb an gegen die Übelstände im Wohlstand und lehnte sich gegen politische Missstände ebenso auf wie gegen Engstirnigkeit und Intoleranz seiner Mitmenschen. Tortenglasuren ekelten ihn an. Als uneheliches Kind im konservativen Südtirol geboren, war er von klein auf Außenseiter. Er trat in die Kommunistische Partei ein, lebte aber auch einige Zeit im Kloster. Die Südtiroler Autorenkollegen verhöhnte er wegen ihrer süßlichen Heimatdichtung, seine eigene schroffe Lyrik und Prosa orientierte sich an den amerikanischen Beat Poets. Kaser arbeitete als Hilfslehrer in Dorfschulen, war schon früh alkoholkrank, beim Unterricht stand die Weinflasche auf dem Pult. Wenn ihm die Lehrbücher nicht passten, schrieb er eigene Texte für die Schülerinnen und Schüler. Mit nur 31 Jahren starb er an Leberzirrhose. Zu seinen Lebzeiten erschienen nur zwei Privatdrucke, doch heute gilt er als einer der großen Südtiroler Autoren nach 1945.


„wir sind überhaupt eine recht eingeklemmte generation. rückwärts geht es nimmer & vor dem vorwärts graut uns.“ (Norbert C. Kaser)

© Willibald Feinig

Kaser in anderen Umständen

Einführung mit Willibald Feinig

Fr. 30. August 2019 | 17 Uhr

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Willibald Feinig, Autor, Theologe und Lehrer, arbeitete 1968 mit Kaser an literarischen Collagen. Feinig wird Einblicke in die Entstehung der vertrackten Welt-Dichtung des Schriftstellers geben, die Umstände seines literarischen Schaffens in der Provinzlandschaft Südtirols preisgeben und die von Kaser gesetzten Maßstäbe für die Literatur beleuchten. Norbert C. Kasers Verhältnis zur Kirche und zum Dialekt werden ebenso Thema sein wie die Enttabuisierung des Privaten, des Tiroler Kapitalismus und des alpinen Tages-, Jahres- und Lebenslaufs.

© Nikolaus Walter

„herrenlos brennt die sonne"

Gedichte und Prose von N.C. Kaser | Lesung mit Dietmar Nigsch

Fr. 30. August 2019 | 18 Uhr

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Dietmar Nigsch, Festivalleiter und Schauspieler, streift mit dem Programm „herrenlos brennt die sonne“ durch den Nachlass von Norbert C. Kaser und gibt Anhand einer prägnanten Auswahl an Lyrik und Prosa einen autobiographischen Einblick in ein unstetes und nomadisierendes Leben eines zu früh verstorbenen Ausnahmeschriftstellers.

© Bernd Schranz

Dominik Plangger

Konzert

Fr. 30. August 2019 | 20 Uhr

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Seit frühester Jugend vernarrt in die Musik, zog der Südtiroler Liedermacher Dominik Plangger (*1980) viele Jahre als Strassenmusikant durch die Welt. Er ist Poet und Sänger, singt mit Vorliebe in deutscher Sprache sowie im Südtiroler Dialekt und weiß sein Publikum nicht nur mit seinen politisch engagierten Liedern zu bewegen und zu berühren. Der Weltgereiste mit der warmherzig facettenreichen Stimme und dem grandiosen Gitarrenspiel verpackt seine Gedanken-Poesie über das Verloren-Sein, die Wurzeln der Herkunft und Flügel der Liebe in Musik, als könnten die Lieder nie anders klingen.

© Sepp Dreissinger

Thomas Bernhard (1931 - 1989)

Literaturpersonale

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Vor 30 Jahren, am 12. Februar, starb mit Thomas Bernhard der auch international renommierteste Autor der österreichischen Nachkriegsliteratur. Mit seinen Gedichten, Erzählungen, Romanen und Theaterstücken schuf er ein Gesamtwerk, das zu den bedeutendsten schriftstellerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts zählt. Kein Autor hat die Nation so gespalten – aber auch so gut unterhalten – wie Bernhard, der „ins Finstere vernarrte Komödiant“. Auch drei Jahrzehnte nach seinem Tod ist die Stimme des „Übertreibungskünstlers“ eine, die Österreich scheinbar immer noch bitter notwendig hat.


„Wenn man die Gemeinheit der Bewohner mit der Schönheit der Landschaft verrechnet, kommt man auf Selbstmord.“ (T. Bernhard über Österreich)

Filmstill - Die Ursache bin ich selbst

Thomas Bernhard - Ein Widerspruch: Die Ursache bin ich selbst

Filmporträt von Krista Fleischmann, A/D, 1986, 43‘

Sa. 31. August 2019 | 17 Uhr

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Die Journalistin Krista Fleischmann führte in den achtziger Jahren ein langes Interview mit Thomas Bernhard in Madrid. Es zeigt Bernhard, der sich vom Kameramann extra „unkonventionelle Bilder“ gewünscht hatte, „die man üblicherweise wegwirft“, von seiner besten, seiner vergnüglichsten Seite. Die Legende vom düsteren Poeten und bittersten Propheten der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts – als der Bernhard immer klassifiziert wird – scheint durch diesen Film in Frage gestellt. Das Porträt hat den Autor auf kongeniale Weise einem großen Publikum nahe gebracht und gilt als Schlüssel zum Verständnis des Werks wie der Person.

© Residenz Verlag

Der Keller - Eine Entziehung

Buchpräsentation mit Lukas Kummer | Graphic Novel nach dem Roman von Thomas Bernhard

Sa. 31. August 2019 | 18.30 Uhr

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Im zweiten Band seiner autobiographischen Schriften beschließt der Schüler Thomas Bernhard, sich seinem Leben zu entziehen. Statt weiterhin die Schule zu besuchen, findet er im Keller einer Lebensmittelhandlung am Rande der verhassten Stadt, im Wohngetto der Besitzlosen und Kriminellen, eine Lehrstelle. Er lernt dort die von der Gesellschaft Ausgestoßenen kennen, denen er sich nahe fühlt, und er lernt erstmals, was es heißt, angenommen zu werden und „nützlich“ zu sein.

Der Alltag im „Keller“ erweist sich als heilsam, die „Vorhölle“ wird zur „Zuflucht“, bis eine schwere Krankheit Bernhards Lehre ein jähes Ende setzt.

Die Neuerscheinung von Lukas Kummer (*1988) zeigt schon wie sein erster Band „Die Ursache – Eine Andeutung“ (2018) die Abgründe des Schriftstellers Thomas Bernhard in Form eines Comics. Für den erzählerischen Ton des Autors findet Kummer eine aufgelockerte Bildsprache. Er begleitet Thomas Bernhard mit präzisem Strich durch diese vielleicht hellste Zeit seiner Jugend und leuchtet den „Keller“ kongenial aus.

© Sabine Hauswirth

„...ohne Übertreibung geht gar nichts“

Szenische Lesung | Dramolette, Erzählungen, Interviews und große Preisreden von Thomas Bernhard

Sa. 31. August 2019 | 20 Uhr

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Geht es nach Bernhard, so ist Österreich ein katholisch-nationalsozialistisches Land der Spießer, bevölkert von einer stumpfsinnigen Masse und einer erbärmlichen „besseren Gesellschaft“. Die Protagonisten in seiner Prosa – meist geistreiche, tragische Einzelgänger, Ausgegrenzte, Verzweifelte – wettern virtuos gegen die Dumpfheit auf dem Lande und den allgegenwärtigen Antisemitismus. In Schimpftiraden verschmähen sie beliebte Personen des öffentlichen Lebens und monologisieren wütend gegen alles, was den Österreichern heilig ist.

Bernhards liebstes Stilmittel ist der Superlativ, die Sprache stets verschachtelt und brillant, rythmische und variantenreiche Wiederholungen steigern sich dabei meist in groteske Überspitzungen. „Ich glaube, ich habe in meinen Büchern noch nie etwas erfunden“, so Bernhard, „verändert – ja, erfunden – nein.“

„Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zu Geistesschwäche verurteilt ist.“ (Dankesrede von T. Bernhard - Österreichischer Staatspreis 1967)

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Walserherbst Zwischenzeit, Christine Nöstlinger

© Christine Nöstlinger

Christine Nöstlinger (1936 - 2018)

Literaturpersonale

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Nöstlingers Heldengeschichten, ausbuchstabiert in mehr als 150 Büchern, waren stets Erzählungen, in denen Erwachsene allenfalls Nebenrollen übernehmen und sich dabei jede erdenkliche Blöße geben durften. Das Werk der großen österreichischen Autorin, die bis ins hohe Alter eine herbe Grazie mit einem sehr wachen politischen Instinkt war, wurde international vielfach ausgezeichnet.


Christine Nöstlingers unnachgiebiges Auftreten gegen Rassismus, Sexismus, Diskriminierungen jeder Art, war in ihren späten Jahren stets Gegenstand ihrer Betrachtungen. Ihr Feminismus war prinzipiell ein konstruktiver, einer, der nicht den Machtkampf von Mann gegen Frau suchte, sondern ausgleichende Gerechtigkeit, die Möglichkeit für beide Geschlechter, aus absurden Rollenverhältnissen auszusteigen und das Gemeinsame weiterzuentwickeln.


Für die wesentlichste frauenrechtlerische Forderung an die Sprache, hatte die Sprachkünstlerin übrigens eine patente Lösung parat.


Ich bin allerdings ein Hasser des Binnen-I. Ich halt’s einfach nicht aus, was hinzuschreiben, was ich nicht reden kann. Und dann die Weiterungen mit der, die, das, ich kenn mich ja schon gar nicht mehr aus, einen schrägen Strich oben, einen unten. Aber von mir aus soll man doch ÄrztInnen mit kleinem i schreiben. So viele Jahrhunderte gibt es Ärzte, dann gibt es ab jetzt halt nur noch Ärztinnen. (Christine Nöstlinger, Falter 2018)

Walserherbst Zwischenzeit, Goran Kovačević, Foto: Gerhard Glockner

© Gerhard Glockner

„Ned, dasi ned gean do warat“

Matinee und Konzert mit Texten von Christine Nöstlinger

So. 1. September 2019 | 11 Uhr

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Der im April 2019 erschienene Lyrikband „Ned, dasi ned gean do warat“ aus dem Nachlass von Christine Nöstlinger schaut nuanciert vor allem dorthin, wo der Rand der Gesellschaft ist. Nöstlingers finale literarische Arbeit, in ihrem letzten Lebensjahr geschrieben, ist tiefsinnig, rabenschwarz und voller lakonisch-heiterer Zwischentöne. Die neuen Dialektgedichte, die von Sorgen und Hoffnungen, von Bösartigkeiten und vom Umgang mit dem Alter erzählen, werden von Maddalena Hirschal und Markus Zett gelesen und vom Schweizer Akkordeon-Virtuosen Goran Kovačević musikalisch begleitet.

Goran Kovačević (*1971) ist Professor für Akkordeon am Vorarlberger Landeskonservatorium. Neben seiner Tätigkeit als Auftragskomponist für Theatermusik, Brass, Chor, Sinfonieorchester und Streichquintett gibt er als Solist und Kammermusiker in unterschiedlichen Besetzungen Konzerte in Europa, Amerika und Asien.

Es lesen:

Bilder 2019